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Individual- und Völkerphysiognomie im Dienste der Macht

 

 

Copyright © ►Theodor Háry 2021

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Die Einteilung der Menschheit in Rassen (vom Arabischen ar-ras für Kopf), der Glaube an rassenbedingte Ungleichheit, die rassentheoretische Vorstellung von Abhängigkeit geistiger Leistung von körperlichem Erscheinungsbild und daraus resultierende Eugenik im Sinne der Rassengesundheitslehre (Rassenhygiene) – sowie unabhängig davon entwickelte Theorie von psychologischer Konstitutionslehre – gelten heute als wissenschaftlich widerlegt. Im Unterschied zu Emanuel Kant und anderen eurozentrischen Zeitgenossen hat schon Johan Gottfried Herder (Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit) die Rassenklassifizierung des Menschen kulturhistorisch und humanethisch abgelehnt. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann aber an Einfluss der Essai sur l’inégalité des races humaines (Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen) des französischen Grafen Arthur de Gobineau, der den Rassenkampf durch Rassenmischung (hervorrufen der rassischen Degeneration) ergänzte, die sich bald noch von Darwinismus beeinflusst wieder verstärkt als biologische Kategorie und eine „Biologisierung“ der Ethnologie durchsetzte. Nicht zuletzt wegen Fortschritte der Genetik in letzten Jahrzehnten (molekularbiologische Forschung anhand Haplogruppen für das Y-Chromosom und anhand mitochondrialen DNA) als auch wegen interdisziplinäre Forschungsergebnisse der Soziologie, Sozialpsychologie und Sozialanthropologie, ist die Selektion der Menschen nach äußerem Erscheinungsbild sowohl naturwissenschaftlich als auch aretologisch unhaltbar geworden. Sie lässt sich lediglich einem spekulativen Bereich rassistischer Esoterik bzw. einer okkultistische Pseudowissenschaft zuzuordnen und ist als solche abzulehnen.

Viel früher als Naturwissenschaft schöpften monotheistische Religionen ihre empirischen Erfahrungen aus Konglomerat des altorientalischen Alltags und hielten die Völker- und Rassendiskriminierung für unvereinbar mit ihren ethischen Prinzipien. Der paulinische Leitsatz im Brief an die Kolosser lautet: Da ist nicht mehr Grieche oder Jude, Beschnittener oder Unbeschnittener, Nichtgrieche [Barbar], Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allen Christus. Ähnlich bezieht sich auch der Islam bei der Bewertung des Menschen lediglich auf die Stufe seiner moralischen Einstellung: Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Araber und dem Fremden (adscham für Perser), außer in der Qualität seiner Gottesfurcht (taqwa). Jedoch steht zwischen diesem innerlichen Leitbild der Gleichheit und der äußerlich motivierten Stereotyp der Ungleichheit eine gewaltige kulturhistorische Diskrepanz.

Im klassisch vedischen Hinduismus erfolgte die gesellschaftliche Selektion nach Kasten (sanskritisch warna für Farbe), ursprünglich also ein ausgeklügeltes soziales Ordnungssystem nach äußerem Erscheinungsbild des Menschen, dem sich nachträglich auch die Berufsgruppen unterstellten. Im altiranischen Kulturbereich (insbesondere bei den Sassaniden) entwickelte sich ebenfalls sehr komplexe soziale Differenzierung, es gab separate Systeme sozialer Organisation für zahlreiche verschiedene Gruppen innerhalb des Perserreiches. Der Philosoph Friedrich Hegel (Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte) sieht im altiranischen Reich – im Gegenteil mit vielen seinen eurozentrisch geprägten zeitgenössischen Denker – den Beginn politischer Systeme und damit den ersten imperialen und zivilisatorischen Zentrum der Menschheitsgeschichte. Im Gegenteil zu diesen theoretischen Fundamenten einer “iranophilen” Iranistik, werden z. B. beim Iranisten de Gobineau (später resümiert bei Hans Günther, Die nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens), die wesentlichen Elemente des islamisierten Neupersertums pauschal als “unzivilisiert und rassisch degeneriert (entarisiert)” dargestellt und sieht in der Notwendigkeit westlicher Kolonialisierung des Iran den einzigen Ausweg aus seinem kulturellem Untergang.

Der folgender Beitrag befasst sich mit noch ungeklärter Problematik, wie weit sich das äußere Erscheinungsbild des Menschen (seine phänotypischen Merkmale), neben seiner Herkunft und seinem sozialen Status, an der Schwelle der antiken imperialen Weltgeschichte im alten Orient mit visuellen Mitteln der Kunst machtpolitisch positionierten: In anthropomorphen (physiognomischen) Vorbildern für Abbildungen göttlicher und geistiger Wesen, in Ursprüngen kollektiver Identitäten wie Schönheitsideale (Nasenform, Monobrauen, künstliche Schädeldeformationen bei Steppenvölkern, Lippen) und Stereotypen der sog. “Herrschernase” (Habichtnase) auf altiranischen Kunstdenkmälern. Insbesondere auf achämenidischen und sassanidischen Felsreliefs von Bisotun, Tacht-e Dschamschid (Persepolis), Naksh-e Rustam und Bishapur, die der zentralisierten Propaganda des Herrscherkultes dienenden. Auch andere archäologische Relikte, wie Münzen, Rundstatuen, Schmiedekunst und Knochenfunde, werden in Studie herangezogen.

Bemerkenswert sind aussagekräftig Gesichte unterschiedlich abgebildeten Gestalten auf dem Felsrelief des Dareios I. von Bisutun (das altpersische Bagastan = Land der Götter). Auffällig ist die Nasenform des beflügelten zoroastrischen Faravahar (sanskritisch pravartī, avestisch frawashi für ewigen beflügelten animistischen Symbol des schutzenden Ahnengeites). Die “verwandte” Physiognomie Dareios I., des eigentlichen Usurpators (der sich auf der Inschrift selbst im “Auftrag” des Gottes Ahura Mazda als König legitimiert) und subordinierte Darstellung seiner adeligen Lanzenträger. Als ein ikonographischer Kontrast zu diesen Gestalten erscheint die liegende Figur des niedergetrampelten Magier Gaumata (des “falschen” Prinzen Bardiya, bei Herodot Smerdis genannten Halbbruder des Königs Kambyses II.) und der neun sog. “Lügenkönige” mit später rechts zugefügten Skythenkönig Skuncha mit der Spitzmütze. Die Gesichter der besiegten Feinde (die motivische Komposition ist dem 1300 Jahre älteren lulubäischen Felsrelief des Königs Anubanini aus benahbarten Sarpol-e Sahab entliehen) sind zwar sehr unterschiedlich charakterisiert, sowohl in der Bartform, Haarform und im Profil. Allerding sei dies nach Hainz Luschey (Studien zu dem Darius-Relief von Bisutun) “mehr Völkerphysiognomie als Individualphysiognomie”. Doch handelt es sich meines Erachtens hier eindeutig um etwas mehr. Nämlich um mehr stereotype Aussagekraft wie etwa auf späteren folkloristischen Prozessionsdarstellungen unterworfener Völker des achämenidischen Großreiches auf dem Treppenhauses der Apadana, der großköniglichen Audienzhalle in Persepolis. Der Künstler brachte hier in Bisutun explizit “rassenspezifische” Differenzen zum Vorschein, er setzte besonders Wert auf qualitative Klassifizierungsunterschiede phänotypischer Merkmale der Hauptakteure des historischen Geschehens im Konsolidierungs- und Pazifizierungsprozess des persischen Großreiches im Jahre 522 v.Chr. So ist eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit zwischen dem Abbild des höchsten Faravahar und “göttlichem Herrscher der Arier” gar nicht zufällig, sondern mit ganz gezielter propagandistischer Absicht gewählt, wie etwa die ausgeprägte Habichtnase, die bei Faravahar noch wuchtiger hervortritt als beim Dareios. Die Nase ist schwächer und minderdimensioniert bei beiden königlichen Begleitern und fast grotesk und “minderwertig” (Fremdartig) wirkend bei der Mehrzahl besiegter Lügenkönige. Die vorspringender Stupsnase ist ein Sondermerkmal des Magiers Gaumata (des Hauptverhassten “Identitätsdieb” und “falschen” Prätendenten auf persischen Thron), ein Merkmal, der in dieser Zeit in schon weitgehend semitisierten Vorderasien wohl kaum noch einem “Schönheitsideal” (Herrscherkult) entsprach, da sich die Mehrheit der Bevölkerung des iranischen Hochplateaus für volkseigene königliche Vorbilder begeisterte. Die fremdartige Nase des Magiers würde zusätzlich zu einem propagandistischen Stereotyp, der seine Angehörigkeit zu “göttlich” königlicher Genealogie des Kyros II, dem Achämenidenkonstrukt des Dareios I. und seinen Anspruch auf  Thronfolge auch kollektivpsychologisch entkräften. Der Betrachter sollte also die Rechtmäßigkeit der Thronbesteigung Dareios I. auch visuell zu Kenntnis nehmen, indem die transportablen Kopien der quasi unzugänglichen Reliefs mit großer Wahrscheinlichkeit in wichtigsten Machtzentren des Großreiches aufgestellt worden sind.

Möglicherweise kann zu meiner Hypothese die Bemerkung des Plutarch (Biographien von Königen und Feldherren) herangezogen werden, der bei Kyros II. folgendes vermerkt: “Bei den Persern wird eine Habichtnase für eine reizende und vorzügliche Schönheit gehalten, und deshalb, weil Kyros, der geliebteste unter den Königen, eine solche Nase gehabt haben soll.”